Fünf Pflegegrade, statt drei Pflegestufen; die so genannten Minutenwerte haben ausgedient, wenn es um die Feststellung der Pflegebedürftigkeit geht. Stattdessen rücken neben körperlichen auch die psychischen Fähigkeiten, das Leben selbstständig zu gestalten, in den Fokus – diese und viele weitere Änderungen treten ab 1. Januar 2017 mit dem neuen Pflegeversicherungsgesetz in Kraft, Stichwort PSG II.
Als pflegebedürftig gilt, wer körperlich, kognitiv oder psychisch in seiner Selbstständigkeit beeinträchtigt ist und deshalb auf Hilfe anderer angewiesen ist. Um dies festzustellen, gilt ab Januar ein neues Begutachtungssystem. „Vorher wurden immer die Minutenwerte zu Grunde gelegt, um die Pfelegestufe festzulegen. Sie richtete sich also danach, wie lange eine Pflegekraft benötigt, um dem Menschen zu helfen,“ so Ulrike Weiß vom AWO-Bezirksverband. Bald werden unterschiedliche Aktivitätsbereiche (Module) unter verschiedenen Fragestellungen bewertet.
Die einzelnen Bereiche sind erstens die Mobilität, zweitens kognitive und kommunikative Fähigkeiten wie zeitliches und örtliches Orientierungsvermögen sowie Gesprächsverständnis. Drittes Prüfkriterium sind die Verhaltensweisen und psychische Problemlagen, also nächtliche Unruh, Ängste oder ob jemand pflegerische Maßnahmen abwehrt bzw. zulässt. Das vierte Modul befasst sich mit der Selbstversorgung. Dazu zählt nicht nur Essen und Trinken, sondern auch die Fähigkeit, sich zu waschen und anzuziehen. Das fünfte Kriterium betrifft die Fähigkeit, selbstständig Medikamente einzunehmen und zum Arzt zu gehen, während sich das letzte und sechste Modul auf die selbstständige Gestaltung des Alltagsleben und die sozialen Kontakte bezieht.
„Für jedes dieser sechs Module werden Punkte vergeben. Aus der Gesamtpunktzahl ergibt sich dann der individuelle Pflegegrad, wobei die ermittelten Punkte je Modul unterschiedlich gewichtet werden“, so Ulrike Weiß weiter. Die Pflegegrade eins bis fünf reichen dann von „geringer Beeinträchtigung der Selbstständigkeit“ bis hin zur „schwersten Beeinträchtigung“, die eine besondere Anforderung an die pflegerische Versorgung nach sich zieht.
Mit den neuen Pflegegraden gelten auch andere Leistungssätze, die ausgezahlt werden. Bei stationärer Pflege etwa reicht dieser Satz von 125 Euro (Pflegegrad 1) bis zu 2005 Euro (Pflegegrad 5). „Wichtig ist, dass niemand im Zuge der Überleitung von einer jetzigen Pflegestufe in einen Pflegegrad finanzielle Nachteile zu befürchten hat. Denn das neue Pflegegesetz garantiert Leistungs- und Bestandschutz“, erklärt die Expertin. Die Pflegestufen werden nach einem festgelegten Verfahren in Pflegegrade übergeleitet.
Für Bewohnerinnen und Bewohner in stationären Einrichtungen ändert sich ab dem 1. Januar 2017 nichts, denn sie haben Bestandsschutz. Eine mögliche finanzielle Differenz zwischen der Pflegestufe und dem neuen Pflegegrad übernimmt die Pflegekasse. Derzeit hängt der Betrag der Eigenleistung von der Pflegestufe ab. Dieses System wird mit dem PSG II aufgegeben. Menschen, die nach dem 1. Januar 2017 in ein Pflegeheim einziehen oder schon dort leben, werden alle den gleichen Betrag zahlen, unabhängig vom Pflegegrad. Dieser so genannte Einrichtungseinheitliche Eigenanteil (EEE) wird auch nicht steigen, wenn eine Einstufung in einen höheren Pflegegrad erfolgt.
Wer zum Jahreswechsel bereits in einer Einrichtung wohnt, zahlt auch im nächsten Jahr weiterhin den Betrag, den er schon Ende 2016 gezahlt hat Das heißt, sollte der EEE höher sein als heute - was bei niedrigen Pflegestufen möglich ist, wird die Differenz von der Pflegekasse bezahlt. Diese Übergangsregelung gilt bis Ende 2017. Sollte der Eigenanteil jedoch aufgrund von regulären Pflegesatzverhandlungen im Verlauf des kommenden Jahres steigen, muss der erhöhte Betrag vom Bewohner getragen werden.
Übrigens: Eine Prüfung seiner Pflegebedürftigkeit muss jeder selber veranlassen. Hierfür wird ein formloser Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung gestellt, der bei der Krankenkasse eingereicht wird. Wer bis zum 31.12.2016 einen Antrag auf Pflegestufe gestellt hat und erst im Jahre 2017 geprüft wird, für den gelten noch die Richtlinien des bisherigen Pflegestufenmodells.
Was ändert sich für im Zuge des PSG II für pflegende Angehörige? Sie können sich auf mehr Unterstützung freuen und haben einen Anspruch auf Pflegeberatung sowie auf kostenlose Pflegekurse, die speziell für Angehörige und ehrenamtliche Pflegepersonen konzipiert sind. Bei Bedarf finden diese Kurse zu Hause statt. Unter bestimmten Bedingungen greifen bei pflegenden Angehörigen zudem bessere soziale Absicherungen in der Arbeitslosen-, Unfall- und der Rentenversicherung. Weitere Informationen rund um das PSG II erteilen unserer Leitungen in den AWO-Seniorenzentren vor Ort.